“Das geht mir auf die Nerven.“ „Nerv‘ mich nicht.“ „Dafür habe ich keine Nerven.“ „Mir flattern die Nerven.“ „Das kostet mich Nerven.“ Wie oft sagen wir solche und ähnliche Sätze im Alltag, ohne uns bewusst zu sein, dass genau das körperlich passiert: Unser Nervensystem reagiert augenblicklich, löst körperliche Prozesse aus und reguliert unsere emotionale Befindlichkeit.
Innere Unruhe, Anspannung, Herzrasen oder Schweißausbrüche, schnelles Atmen oder Gefühle der Unsicherheit oder Angst – in unserem Alltag sind solche Zustände schon fast normal. Klar, dass sich das auch sofort auf unsere mentalen Fähigkeiten auswirkt: Gute Kommunikation? Fehlanzeige! Empathie und Sozialkompetenz? In dem Moment völlig überbewertet! Führungskompetenzen und Kollegialität? Kaum vorhanden!
Körperliche, mentale und emotionale Gesundheit hängen direkt zusammen. Geht es uns körperlich nicht gut, hat das Einfluss auf unseren emotionalen Zustand, auf unsere Kommunikations- und Leistungsfähigkeit. Umgekehrt ist es genauso: sind wir ärgerlich, unter Druck, gestresst oder frustriert, kommunizieren wir schlechter, sinkt unsere Leistungsfähigkeit und unser Körper reagiert. Das kann auf unterschiedlichster Weise sein: Verspannung, Unwohlsein, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme, Bluthochdruck und vieles mehr. Körper, Geist und Psyche beeinflussen sich gegenseitig. Das ist allgemein bekannt. Trotzdem nutzen wir diese Wechselwirkung im Alltag kaum – solange wir noch einigermaßen funktionieren. Erst, wenn der Leidensdruck zu groß geworden ist, reagieren die meisten von uns.
Wollen wir jedoch gesünder und gelassener sein, erfolgreicher kommunizieren und produktivere Beziehungen zu Kollegen oder Mitarbeiter haben, können wir mindestens bei einem dieser drei Dimensionen anfangen und so auch die anderen Bereiche beeinflussen. Wer beispielsweise regelmäßig zum Sport geht, kennt diesen Effekt. Körperliche Anstrengung macht den Kopf frei und entspannt nach getaner Arbeit. Das gleiche Ergebnis erzielen andere, wenn Sie zum Feierabendbier greifen: das Gedankenkarussell wird angehalten und Entspannung findet statt. Welche Strategien Sie auch immer haben, sie zielen immer darauf ab, Körper, Geist und Emotionen zu beruhigen. Beginnt einer der drei Bereiche ‘runter zu fahren, folgen die anderen.
All diesen Methoden ist gemeinsam, dass Sie Einfluss auf Ihr Herz und Ihr Nervensystem nehmen oder zumindest nehmen wollen. Denn Herz und Nerven steuern fast alle unserer körperlichen, mentalen und seelischen Zustände. Insbesondere der Vagusnerv spielt dabei eine bedeutende Rolle. Ist er aktiv, kommen Ihr Körper, Ihr Geist und Ihre Emotionen zur Ruhe. Deshalb ist ein starker Vagus für unsere Gesundheit von immenser Bedeutung. Nur leider wird dieser Nervenstrang in unserem hektischen Alltag immer schwächer. Wollen wir jedoch auf Dauer gesünder und zufriedener leben wie arbeiten, ist der Schlüssel unser Herz und unser Nervensystem. Es gilt, proaktiv, selbstverantwortlich und bestenfalls präventiv unseren Vagus zu stärken.
Generell besteht unser autonomes Nervensystem aus zwei Teile: den Sympathikus und den Parasympathikus. Vereinfacht gesagt, wird der Sympathikus tätig, wenn Sie in Aktion und aktiv sind oder unter Stress stehen. Das kann körperlich, aber auch ausschließlich geistig oder emotional sein. Im Gegensatz dazu ist der Parasympathikus für die Entspannung zuständig. Beide regulieren unsere Körperfunktionen. So lässt der Sympathikus beispielsweise den Blutdruck steigen, während der Parasympathikus den Blutdruck sinken lässt.
Der wichtigste Nerv des Parasympathikus ist der sogenannte Vagus. Der Vagus wird auch als X. Hirnnerv bezeichnet. Beginnend im Gehirn zieht sich der Nerv durch den ganzen Körper, durchläuft den Hals, erstreckt sich über den Brustraum, spaltet sich hier auf und führt unter anderem zu Herz, Lunge, Magen, Bauchspeicheldrüse und Darm. Er ist von zentraler Bedeutung, mit allen wichtigen Organen direkt verbunden und kontrolliert beispielsweise den Blutzucker, die Atmung und die Herzfrequenz. Er sorgt für Tiefenentspannung, beeinflusst unsere Schlafqualität und kann Ursache vieler Erkrankungen als auch für deren Heilung sein. Der Grad seiner Funktionsfähigkeit bestimmt in hohem Maße Gesundheit und Krankheit. Und: Der Vagus hat sogar Einfluss auf unser Sozialverhalten und die Gestaltungen unserer Beziehungen. Ein freundlicher Blick, ein Lächeln, ein Zunicken laufen über den Vagus. Er ist an unwillkürlichen Bewegungen der Gesichtsmuskulatur beteiligt, reagiert auf soziale Interaktion und ist aktiv, wenn wir uns sicher und geborgen fühlen. Umgekehrt kann er Kommunikation und soziale Beziehungen verbessern, wenn wir ihn bewusst stärken.
Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, genauer nach der Polyvagal-Theorie, gibt es einen hinteren und vorderen Vagusnerv. Der vordere reagiert schneller. Seine Aufgaben sind Selbstheilung, Erholung, Verdauung, Kontakt und Kommunikation. Bei einem gesunden Menschen ist ein aktiver vorderer Vagus der Normalfall und vorherrschend. Ein starker Vagus fördert die körperliche und mentale Gesundheit. Er ermöglicht es, dass wir uns nach Stress gut erholen können. Ist der vordere Vagus jedoch überfordert, tritt der Sympathikus in Aktion und unser Organismus geht in den Kampf-oder-Flucht-Modus. Der Körper kämpft dann nur noch ums Überleben. Wenn wir im Stress sind, befinden wir uns in diesem Zustand. Denn unser Körper kann die verschiedenen Arten von Stress noch nicht unterscheiden. Mentaler und emotionaler Stress nehmen denselben Stellenwert ein, wie der Angriff eines Mammuts oder Säbelzahntigers. Auf psychischen Druck reagieren wir also genauso, als wenn unser Leben bedroht werden würde. Stellt unser Organismus fest, dass weder Kampf noch Flucht eine überlebensfähige Lösung ist, kommt der hintere Vagus ins Spiel. Er fährt alle Funktionen herunter und der Organismus stellt sich tot. Er erstarrt. Unter anderem sinkt der Blutdruck, Schwindel kann sich einstellen, der Puls verlangsamt sich deutlich. Depressive Menschen können einen sehr aktiven hinteren Vagus haben, während der vordere und der Sympathikus geschwächt sind. Auch Menschen, die plötzlich “dicht machen” und sich innerlich zurückziehen, haben in diesem Moment vermutlich einen starken hinteren Vagus.
Durch die vielen Dauerbelastungen, denen wir heute unterliegen, entwickelt sich bei vielen Menschen ein Ungleichgewicht. Der vordere Vagus wird immer schwächer, während Sympathikus oder hinterer Vagus aktiver werden. Damit einhergehen körperliche und mentale Belastungen, die sich auf die Gesundheit niederschlagen können. Körperliche und seelische Erkrankungen sind die Folge. In Unternehmen sind diese Entwicklungen durch die steigende Zahl der Krankschreibungen aufgrund von psychischen Erkrankungen sichtbar.
Dieser direkte Zusammenhang zwischen einem starken Vagus, positiven Emotionen und Gesundheit ist Gegenstand vieler aktueller Studie. Ebenso wie die Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen. Ein schwacher Vagus kann das Gegenteil bewirken: eine höhere Anfälligkeit für Krankheiten und negative Emotionen bis hin zu Depression. Auch Entzündungen, ja sogar Herzinfarkte, werden mit einem schwachen Vagus in Zusammenhang gebracht. Beispielsweise schüttet ein aktiver Vagus Acetylcholin aus, was akut entzündliche Reaktionen unterdrückt.
Ziel ist es also, dass Sympathikus und Parasympathikus täglich in einer gesunden Balance sind. Das fördert Ihre Gesundheit und emotionale Ausgeglichenheit.
Sie können den Zustand Ihres Vagus übrigens mittels einer Messung Ihrer Herzratenvariabilität (HRV) sichtbar machen. Die HRV bildet diesen ab. Mehr zu HRV-Messungen finden Sie hier: https://gabrielawischeropp.de/24-48-h-hrv-messung/
Eine hohe HRV und ein aktiver Vagus hängen mit körperlicher, mentaler und seelischer Gesundheit zusammen. Das Gute: Sie können proaktiv Einfluss auf Ihren Vagus und Ihre Herzratenvariabilität nehmen. Wenn Sie dies regelmäßig tun, fördern Sie Ihre Gesundheit, Ihre Leistungs- und Kommunikationsfähigkeit, Ihre Produktivität und Führungskompetenzen. Sie erreichen mehr innere Gelassenheit, werden resilienter und zufriedener.
Einfach ausgedrückt, stimuliert letztlich alles, was Sie wirklich entspannt, zufrieden macht und sicher fühlen lässt, Vagus und Herz. Dabei geht es jedoch nicht um kurzzeitige Ablenkung oder Verdrängung, beispielsweise durch das Konsumieren von Alkohol, Filme, Shopping oder Surfen im Internet – was zeitweise auch durchaus legitim ist -, sondern um eine kontinuierliche gelassene, innere Grundhaltung, die auf Körper, Geist und Psyche wirkt. Insbesondere das Gefühl der Sicherheit – körperlich, mental und emotional – aktiviert Ihren Vagus und stärkt Ihre Herzratenvariabilität.
Machen Sie einfach mal eine Liste, welchen Sie dauerhaft ausgesetzt sind. Dann unterteilen Sie diese in
Im nächsten Schritt wird es dann natürlich interessant. Wie können Sie die jeweiligen Stressfaktoren reduzieren? Prüfen Sie bei den äußeren und sozialen Stressoren, auf welche Sie Einfluss nehmen können. Entwerfen Sie für diese eine Strategie. Bei welchen Punkten fühlen Sie sich “hilflos” oder “ausgeliefert”, weil Sie nichts verändern können? Wenn Sie etwas nicht ändern können, haben Sie die Wahl: Sie ärgern sich darüber und leiden oder Sie ändern Ihre Haltung, Ihre Einstellung dazu. Nicht immer einfach, aber sinnvoll. Dazu müssen Sie sich, wie auch bei den inneren Stressoren, in ein mentales Fitnesscenter begeben und sich umprogrammieren. Mentale Techniken, Emotionsregulierung oder Embodiment-Übungen helfen dabei.
Einige der nachfolgenden Tipps werden Sie sicherlich kennen und sich denken „Ja, ist doch klar.“. Wir wissen oft, was uns gut tut … aber die Umsetzung in die Praxis bleibt gern mal auf der Strecke. Weil es uns noch zu gut geht, weil wir gar nicht daran denken oder weil wir mit anderen Dinge beschäftigt sind, die uns wichtiger sind. Es ist eine hohe Kunst und eine große Herausforderung, so mit unserer Zeit und Energie umzugehen, dass wir unser körperliches und emotionales Wohlergehen fördern. Hier also ein paar kleine Erinnerungen:
Tägliche Übungen für Zwischendurch, die wenig Zeit benötigen:
Instrumente für eine dauerhaft entspanntere Lebensgrundhaltung, die mehr Zeit erfordern und sich anhaltend auf den Vagusnerv auswirken:
Gesunde Selbstführung bedeutet, körperlich, mental und emotional gut für sich zu sorgen. Sie fördern so einen starken Vagusnerv, verbessern Leistung, Kommunikation, soziale Beziehungen, Kreativität, Empathie und vieles mehr. Wenn Führungskräfte wie Mitarbeiter sich dieser Eigenverantwortung bewusst sind, die Mechanismen und Zusammenhänge kennen und Instrumente lernen, sich und andere gesund zu führen, werden Menschen und Unternehmen davon profitieren.
Weitere spannende Beiträge:
Teilen Sie diesen Beitrag:
Lassen Sie uns reden.
Ich freue mich auf Ihre Nachricht!
Gabriela Wischeropp
Unterhachinger Str. 49
D – 81737 München